oh fortuna!

Jackass: The Movie, USA 2002
Jeff Tremaine, Regie

Ich muss hier keine Hymnen anstimmen, die ich doch kaum begründen (d.h. vermitteln) kann. Ich kann stattdessen eine Kritik zum Film zitieren und mich dazu äußern. Zu “Jackass” hat Andreas Busche nämlich seinen besten Text geschrieben. Im ersten Absatz schildert er einige Sequenzen aus dem Film - die es, zumindest in der beschriebenen Form, darin nie gegeben hat. Auch sonst habe ich nicht selten ‘falsche’ Beschreibungen von Film und Serie gehört. Dabei ist es egal, ob die Episoden in der Rede noch ‘krasser’ ausgeschmückt werden wollten oder man tatsächlich um korrekte Widergabe bemüht war: “Jackass” besitzt eine außergewöhnlich produktive Nachwirkkraft - nicht allein, was körperliche Folgen angeht.

So lassen sich Episoden vermischen, Akteure verwechseln, deren Reaktionen anders deuten, Stunts anders und extremer denken. “Jackass” macht Eindruck, unmittelbar und mittelbar. Beim Zappen am Wochenende ist mir anhand Winnie Puuh etwas passendes aufgefallen. Ich kenne mich mit dem Bären nicht aus, bin auch nur kurz an den beiden Filmen hängen geblieben, aber anscheinend ist der erste Puuh-Film (1966) ein aus verschiedenen Elementen und Ebenen - Real/Trick, (medien)reflexiv, episodisch - zusammen gesetzter und der Hefferlump-Film (2005) läuft wohl in einem Rutsch und ohne Brüche durch.

Ich baute immer stark auf die kreativen Möglichkeiten kindlicher Fantasie. Das Puuh-Beispiel lässt vermuten, diese bekäme immer weniger tun. Vielleicht zeigt sich angesichts “Jackass” dieses kindliche Vermögen noch einmal, einmal noch in voller Blüte. Genießen wir es, rezipieren wir freudig und frei!

excuse me, are you the singing bush?

¡Three Amigos! / Drei Amigos!, USA 1986
John Landis, Regie

Eine Verwechslungskomödie in doppeltem Sinn, auf der Handlungs- als auch der Reflexionsebene: Drei frühe Filmcowboys sehen sich mit der “Glorreichen-Sieben”-Realität eines mexikanischen Dorfes konfrontiert. Die Ebenen lassen sich nicht voneinander trennen, im Gegenteil, sie spielen produktiv ineinander. Immer wieder wird eine andere Facette herangezogen, seien dies die Beschränkungen oder Konventionen des Stummfilms (Reit-, Atelieraufnahmen), Fragen der Medienkompetenz oder Kinonostalgie.

Das hat auch eine schöne zeitbezogene Komponente, schließlich war in den frühen Jahren des Filmens dieses noch oft ein Abenteuer wie andere auch, ein Riskieren und Entdecken. Peter Bogdanovich verwies darauf, dessen “Nickelodeon” dem Film John Landis’ nicht unähnlich ist.

Witzigerweise war es “Three Kings”, zu dem Dietrich Kuhlbrodt schrieb: “Der Film setzt darauf, dass Unstimmigkeit und Stimmigkeit zugleich wahrgenommen werden können. Von der Zielgruppe erwartet der Film eine tolle Rezeptionskompetenz.” Für die “Drei Amigos” trifft dieser Satz ebenso zu.

eine laurel & hardy-liebesgeschichte

Christian Keßler hat heute sehr schöne Notizen zu Laurel und Hardy veröffentlicht, die es tatsächlich vermögen, die kindlichen Heimatgefühle, die mit den beiden verbunden sind, als Text einzufangen. Überhaupt sollten die filmgelehrten Gesänge Keßlers mindestens einmal pro Woche besucht werden.

Wolf Lepenies hatte übrigens zum 50. Todestag Oliver Hardys eine Erinnerung an den Krawattenmann geschrieben.

“planetarisches kunstgewerbe”

Starcrash, USA/Italien 1979
Luigi Cozzi, Regie

Ich hatte den Film als Kind gesehen und konnte mich noch erstaunlich gut in ihn erinnern. In allem ist “Starcrash” herrlich absurd und dabei so konsequent, dass man denken könnte, er sei als Experiment angelegt. Der seltene Fall eines Filmes, dem alles schief geht und der darum aufgeht: Ein Hauptdarsteller, der bei Steven Seagal in die Schule gehen sollte, dass er noch was lernt; eine Hauptdarstellerin (Caroline Munro), die zur Sklaverei verurteilt wird und diese in knappem Lack und Leder bestreitet; ein Roboter, dessen Programmierung jeder Logik widerspricht; Christopher Plummer als guter Herrscher, immer in kleidsames Gold gehüllt, Joe Spinell als dessen diabolischer, mehr noch diabolisch lachender Gegensspieler, der in der Weltraumschlacht seinen Leuten ständig sagen muss, sie sollten ihre Feinde töten; ein früher David Hasselhoff - gefönter wird er niemals sein - als tragisch gestrandeter Robinson, der nicht gemerkt hat, dass er auf dem Planeten gelandet ist, den er immer suchte … Die Liste müsste ewig so weitergehen.

Überhaupt ist “Starcrash” voller Diebesgut aus der Science-Fiction/Fantasy-Filmgeschichte - nur hätten sich Filme wie “Star Wars” nie getraut, uns einen interstellaren Kampf zu zeigen, bei dem die Angreifer in ihren fliegenden Kisten durch die berstenden Dünnglasscheiben der Raumstation scheppern, um dann drinnen in den Nahkampf zu gehen. Das sind Himmelfahrtskommandos wie aus der panischen Spätphase des Seekriegs im WK2.

“Starcrash” hat es so eilig, dass man es nichmal schaffen kann, den Prolog zu lesen. Man muss ihn gesehen haben.

ps, Stefan stellt in seinem Eintrag zum Film zwei Screenshots zur Verfügung, die mich insofern beschämen, als ich die Amazonen- und Ray-Harryhausen-Aspekte bisher ganz verschwiegen hatte. Doch da sind sie nicht die einzigen.

der mann, der hockey spielte

Cowards Bend the Knee, Kanada 2003
Guy Maddin, Regie

Guy Maddin macht ein Kino, das einen Blick auf das Kino wirft. Auf die Filmgeschichte wird inhaltlich angespielt und formal. Er bevorzugt die Formensprache des frühen Kinos, verfügt jedoch ebenso gekonnt über spätere Entwicklungen. Möglichkeiten letzterer Art vermag er produktiv in erstere einzufügen. Das allein ist schon ein Grund, gebannt & gespannt vor diesen Filmen zu sitzen.

Ein anderer ist der Humor. Der ist bei Maddin, passend zum Stummfilm, teils zotig, teils skurril, teils rührend. Da er fast ausschließlich in den Bildern steckt, ist er sehr stark an die Sichtung gekoppelt. Man kann eben keine Sprüche aus den Filmen mitbringen. Zudem fällt das Bilderbeschreiben hier sogar noch schwerer als sonst. Das Flüchtige ist also nicht das Erstaunliche, sondern vielmehr der Grund, stets zurückkehren zu wollen.

hunting high and low

Underworld, USA 2003
Len Wiseman, Regie

Von der ersten Einstellung an, die genau so lange anhält, bis der Studiowind das schwarze Cape Kate Beckinsales soweit hochgeweht hat, dass ihr latexgeformter Hintern sichtbar wird, ist klar, dass es sich bei “Underworld” um eine Frage des Designs handelt.

Die jüngere Kinogeschichte stellte Len Wiseman eine Palette von Formungen zur Verfügung, die er nur noch übernehmen und anordnen musste. Allein schon “Matrix” und “Blade II” geben “Underworld” eine erstaunliche Menge an Bildern, Bewegungen, Abläufen, Plotauflösungen, Storyhintergründen usw. vor. Motiv- und Genregeschichte prägen, freilich vorhanden und ab-/anrufbar, den Film weit weniger.

Hat mir gefallen.

offenheit und widerstand

Halloween, USA 2007
Rob Zombie, Regie

Ich kenne Zombies Vorgängerfilme nicht (was sich ändern wird). Zumindest an seinem “Halloween” sind charakteristisch: Härte, Kohärenz/Konsistenz und Offenheit. Was eine ausgesprochen erwachsene Leistung ist. Es hat nichts spielerisches, nichts gezwungenes, nichts (weit) hergeholtes, sondern etwas bezwingendes, wie Zombie seinen beeindruckend fest zusammengezurrten Film nach außen offenhält. Allein über die eingesetzten Darsteller und den Darstellereinsatz - zwei grundverschiedene Dinge und wie selten gelingt beides - ließe sich einen Artikel lang schwärmen. Oder wenn man sich bewusst macht, wieviele “(sic!)”s man in die Aussage setzen könnte, dass Brad Dourif hier einen Sheriff namens Lee Brackett spielt (in Zombies “Halloween”-Fernsehen laufen zweimal genau dieselben Einstellungen aus Nyby/Hawks’ “Thing” vorbei). Oder … Eben.

Dieser “Halloween” reduziert die Komplexität der Problematik “Halloween”-Remake enorm - eine erstaunliche Leistung. Oder anders gesagt: Nach Ansicht von Rob Zombies Film kann man sich kaum noch vorstellen, wie ein Remake des Carpenter-Klassikers hätte anders aussehen können. Natürlich, klar, kann man, kann man immer - aber man müsste es dieses Mal erzwingen, wo man in anderen, ähnlichen Fällen teils tausendundeinem Wuschtraum nachhing (ach vermiede er dies, ach täte er jenes …).

Die Härte meine ich buchstäblich: Nicht nur füllt Zombies Film psychologische Leerstellen der Entwicklung Michael Myers’ auf, er verschiebt auch das Rätsel um dessen körperliche Kraft und Beständigkeit, (nicht nur) indem er Michael durch Tyler Mane darstellen, verkörpern lässt. Auch Myers’ Körper ist konsistent - in räumlicher wie zeitlicher Dimension: Er kann einstecken, aushalten und austeilen.

Mir macht solche grobe Härte affektiv kaum etwas aus - ganz anders als, paradigmatisch gesprochen, Bunuel/Dalís Augenschnitt. Das Ende des Films besteht dann auch zu einem beträchtlichen Teil aus der sich - wie alles hier - hinziehenden Demolage seines Geburtshauses, die mehr und mehr zurücktritt und der Demolage Michaels weicht. Überhaupt ist es in unserem Zusammenhang nicht das schlechteste Wort, Demolage, das langwierige, doch stetige Abarbeiten an etwas, das Zerstörung, ja Aus-Löschung nie werden kann.

börnes cooper

Börne und Heine waren sich nicht grün. Aber man wird sie beide mögen (können), aus vielen Gründen. So kenne etwa ich nicht viel Literatur aus ihrer Zeit, die so im Saft steht, die so wenig entrückt ist - da muss man die beiden gar nicht aufeinander beziehen oder die Texte lesen, in denen sie es selber tun. Goethe etwa scheint da schon eher entrückt auf den Olymp, auf dem (der frühe) Heine ihn placiert hat. Man sollte sich von keiner Schullektüre die ungeheure Freude am “Wintermärchen” nehmen lassen (von Wortmann gleich gar nicht) und nicht glauben, die Versform habe auch nur irgendetwas mit Entrückung zu tun, d.h. Ferne.

Und eben auch Börne, derzeit bei weitem nicht so bekannt wie sein vielfältig produktiver Konterpart, hat schönstes zu bieten. Ich möchte hier nur auf einen Band hinweisen - und darin exemplarisch einen Text -, dessen Herausgabe Marcel Reich-Ranicki besorgt hat, der als insel taschenbuch erschienen ist, und der heißt: “Ludwig Börne. Spiegelbild des Lebens“. Darin finden sich “Aufsätze zur Literatur”, als solche auch Tagebucheinträge und Briefe, daneben eine Einleitung und Nachwörter von MRR.

Die Literaturkritik hat seinerzeit noch ganz anders funktioniert als heute. Womit ich sagen will, die Literaturkritik funktioniert immer schneller immer weniger. Natürlich ist uns vom literarkritischen Feld um 1800 nicht alles erhalten, aber auch nicht alles wurde gedruckt (es gibt eben Fälle, da ist das gut). Solche Texte haben und hatten einerseits nichts billiges, sie weisen andererseits auch nicht die begriffliche Klarheit heutiger avancierter Kritiker auf. In diesen Texten steckt das Leben …

… und in Börnes “Coopers Romane” finden sich Sätze wie diese: “Wenn Goethes Grundsatz wahr ist: der Held eines Romans müsse sich sehr leidend verhalten, müsse sich alles gefallen lassen und dürfe nicht mucksen - warum haben wir dann keine guten Romane, da wir doch alle geborne Romanhelden sind? … Um etwas zu erfahren, muß man etwas tun; wir müssen gehen, daß uns etwas begegne. … Weil wir unseren Lebenskreis nicht überschreiten, erfahren wir auch nicht, was sich innerhalb des Kreises begibt; denn man muß andere kennen lernen, sich selbst zu kennen. Die Eilwagen, auf welchen doch manchmal ein armer Schelm von Dichter mit reichen und vornehmen Herren zusammentrifft, werden auf die Romanliteratur vorteilhaften Einfluß haben; aber sie sind noch zu neu, diese Postmusen sind noch zu jung, […]”.

Bis aufs erste Wort findet sich all dies auf einer einzigen Seite; es fiel mir (teils sehr, teils sehrsehr) schwer, anderes dafür wegzulassen. - Ich glaube, die Literaturangabe hatte ich oben schon gemacht.