unsere kleine tankstelle

The Pertrified Forest / Der versteinerte Wald, USA 1936
Archie Mayo, Regie

Unser Schauplatz ist fast ausnahmslos eine Tankstelle in der Wüste Arizonas. Ein paar sind schon da, ein paar andere kommen hinzu. Bette Davis ist die Tochter des Eigners, Leslie Howard ihr plötzlich auftretender Schwarm, ein weitgereister, mittelloser Schreiber. Er bringt die weite Welt, geografisch und in Sachen Kunst. Humphrey Bogart, der Gangster, bringt den Konflikt und mit ihm die Beschleunigung. Er ist Amerika; Howard kennzeichnet seinen “rugged individualism”.

Die Herkunft des Films vom Theaterstück begründet seine klaren Konturierungen und Konstellationen, wir können auch von Setzungen und Differenzen sprechen. So kann Amerika unterschieden werden von Frankreich, der Strand von der Wüste, Football von Lyrik, Bogart von Howard. Kennzeichnend für das Drama ist auch hier, dass das eine das andere nicht ausschließt, sondern gerade die Schnittmengen und Verwischungen den Gehalt ausmachen. Das zeigt sich noch in Details der Inszenierung: Zum finalen Schusswechsel rücken Polizisten an, die ausnahmslos Cowboyhüte tragen, während Bogart und seine Bande die Tankstelle wie ein Fort oder eine Blockhütte verteidigen. Der alte Mann, dem die Geschichte seines Landes in den Knochen steckt und dem die Auskunftsfreude aus den Augen blinzelt, lässt seiner unglaublichen Geschichte von Jesse James die von Duke Mantee folgen.

Medien determinieren Kommunikation und begründen die moderne Gesellschaft, d.h. die Erzählung dieses Films. Eine Telegraphenleitung wird verlegt. Das Radio informiert passiv, das Telefon aktiv. Dokumente bergen und belegen. “The Pertrified Forest” ist heute bekannt für seinen ersten großen Bogart-Auftritt. Spannend ist daher, wie er im Film heraufbeschworen wird. In Etappen: Nachdem das Gerücht ausgerufen ist: “Duke Mantee kommt!”, sehen wir das Foto Bogarts auf der Titelseite der Zeitung, vom Alten hergezeigt als eine Beglaubigung. Der Auftritt Bogeys kann diesem Raunen zwar nur nachfolgen, doch ist es die Leistung des Schauspielers, dies auszuhalten und darüber hinauszugehen.

Am stärksten eingenommen wurde ich jedoch von Leslie Howards blendender Vorstellung, dieser ruhigen, hintergründigen, undurchschaubaren Art, und so versponnen lasziv. Bette Davis, die, was ich charmant finde, zwar die Gedichte François Villons sehr schätzt, aber nicht weiß, wie man den Namen ausspricht, ist eine Mademoiselle Bovary.

“The Pertrified Forest” basiert, wie gesagt, auf einem Theaterstück. In diesem spielten schon Howard und Bogart; Bogart gab seinen Duke Mantee, der so bedeutsam ist für vieles, was er on und off screen tat, noch einmal in einer Fernsehfassung, kurz vor seinem Tod und an der Seite Lauren Bacalls.

nachtgeschichten

Es beißt sich. Denn es ballt sich. Und es läuft die Zeit. Also los:

Mit “Der versteinerte Wald” beginnt der SWR heute Nacht eine Reihe mit Bogart-Filmen, die als solche zwar keine Seltenheit, aber auch diesmal wieder gern gesehen ist. Sie wird an den kommenden Sonntagmitternächten fortgesetzt. Genaueres und immer aktuelles gibt es hier. - Im Jahr seiner Entstehung zählte Borges “The Petrified Forest” “zu den dichtesten [Filmen], die ich je gesehen habe”. Wen das nicht beeindruckt, der kann und sollte sich von einem anderen state of mind überzeugen lassen. Wer dessen Eintrag gelesen hat, wird außerdem meine mannigfaltige Zuneigung zu Marcs Blog verstehen.

Märchen für Erwachsene” erzählt Eli Roth. Mehr sage ich nicht, lasse also die Mehrdeutigkeit dieser wenigen Worte absichtlich offen. (RTL, 0.25 Uhr)

Ich mache mir nichts vor: Die meisten werden diesen Film kennen, die meisten davon ihn schätzen. Dennoch verweise ich darauf: Wie es mir ein Zwang ist, das zu tun, mag es anderen einer sein, ihn wiederzusehen. Und ein Gruß an diejenigen, denen dieses außerordentliche Erlebnis noch bevorsteht. Ein Film wie wenige, ein einzigartiger Film; als ich ihn sah, wurde er mir unverzichtbar; Charles Laughtons einzige Regiearbeit, ein Solitär nicht allein darum: “The Night of the Hunter / Die Nacht des Jägers”. (ARD, 2.00 Uhr)

schöner mann mit bart

Umberto Eco lässt seiner “Geschichte der Schönheit” notwendigerweise “Die Geschichte der Häßlichkeit” folgen. 3sat nutzt die Chance, ihn darauf anzusprechen; Eco verwandelt. Das Gespräch ist ganz nur im Netz zu finden und zwar hier.

Ein zweiter Hinweis: Martin Andree, Autor einer großen “Archäologie der Medienwirkung“, hat für die “Welt” anlässlich des Amoklaufs in Tuusale einen Text zur Wirkung von Killerspielen geschrieben, endlich mal einer wie er. Das zu lesen geht runter wie Öl. Großartig!

Und eine persönliche Randnote: Daniel Kehlmann, von dem ich noch keine Zeile Belletristik gelesen habe, den ich für seine Sekundärarbeiten aber außerordentlich schätze und nicht allein dafür, hat den diesjährigen “Welt”-Literaturpreis bekommen. Das freut mich sehr, auch wenn man ihn sich im Axel-Springer-Haus abholen muss. Der Preis jedoch ist gut begründet und Willy Haas, in dessen Andenken er verliehen wird, war ein Guter.

tv-hinweise

Heute abend schon sendet 3sat erstmals Nikolaus Geyrhalters Dokumentarfilm über die Bedingungen der Bereitstellung der Lebensmittel für den Menschen “Unser täglich Brot” (3sat, 4.11., 21.15 Uhr).

Alexander Kluge hat sich wieder mit Joseph Vogl unterhalten, über Giacomo Puccinis Oper “Tosca” (RTL, Nacht vom 5. auf den 6.11., 0.35 Uhr) und über den Schurken (Sat.1, 11.11., 23.35 Uhr).

Nicht zuletzt möchte ich verweisen auf eine Seltenheit: Eine Sendung von “Literatur im Foyer” setzte geradezu einen Standard in Sachen wirkliches Vermittlungsinteresse, Ernsthaftigkeit, Gesprächssinn und Bestimmtheit. Das Thema lautet - und umso überraschender ist die Unaufgeregtheit - “Glauben heute” (3sat, 7. auf den 8.11., 4.10 Uhr).

reise im medienBlog

bekay gegen Hausarbeiten.de. Der gute Recke. Eine Arbeit, die er nun auf seiner Plattform bereitstellt, befasst sich mit “A Tale of Two Sisters”, eine andere mit Rossellinis “Viaggio in Italia”, freilich bei weitem nicht so trivial, wie ich es hier ankündige, sondern jeweils unter leitender Fragestellung und mit theoretischem Rüstzeug versehen. Das erzählt er aber besser selbst in kleinen Paratexten, die überdies mit Kontexthinweise angereichert sind.

bekay schaut aber auch andere schöne Filme und schreibt ebenso darüber. Wem das immer noch nicht genügt, dem erlaubt das unter gleichem Dach bereitgestellte Register systematischen Zugriff auf die Filmtagebücher der filmforen. Und noch mehr gibt es zu entdecken, doch werd’ ich mich hüten, hier alles hinzuschreiben, das hält ja nur auf …